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U L E S V E R N E
(08. Februar 1828 - 24. März 1905) S
O N E T T E
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Ralf
Tauchmann
(erschienen November 2009 in der Nautilus, der Zeitschrift des Jules-Verne-Clubs Deutschland) |
Herbei, Kindheitserinnerungen
an den ach! so hoch verehrten Schutzpatron von unbeschwerten, buchwütigen Lesejungen; kaum bis in mein Reich gedrungen samt weltreisenden Gefährten, Kapitänen, Großgelehrten, ward heißhungrig er verschlungen... Er eröffnete mir Weiten im alltäglichen Gewühl buchstäblich beengter Zeiten und bot mir auf Bücherseiten unpolitisches Asyl… Mein Lebenswegweiser – mein Jules! Ralf Tauchmann |
Persönliche
Vorbemerkung
Als ich die Sonette von Jules Verne vor Jahren im
Internet entdeckte, schloss
sich für mich in gewissem Sinne ein Kreis, nicht nur weil die
Literatur in all
ihren Formen, ob Prosa oder Poesie, mich seit jeher begeistert hat,
sondern
auch deshalb, weil ich während meiner Studienzeit in Leipzig
in der DDR unter
anderem ein Sonett über Jules Verne geschrieben hatte. Jules
Verne hat meinen
Lebensweg entscheidend beeinflusst, da er mein tiefes Interesse
für die
französische Sprache angeregt und meinen Berufswunsch
entscheidend beeinflusst
hat – dies in Zeiten des „eisernen
Vorhangs“. Selbst als ausgebildeter
Übersetzer/Dolmetscher stand eine Reise nach Frankreich
außer Frage und blieb
lange Zeit Traum… bis zur Wende 1990. Keine Frage, dass mein
zweiter
Frankreich-Besuch mich 1991 auf den Spuren von Jules Verne nach Nantes,
Le
Crotoy und Amiens führte.
Umso größer also heute meine
Freude, den französischen Sonetten von Jules Verne
eine Nachdichtung an die Seite und diesen Nachdichtungen mein Sonett
über Jules
Verne bzw. über meine Jules-Verne-Nostalgie voran stellen zu
können.
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Versetzen wir uns zurück ins 19. Jahrhundert. Zu Zeiten ohne Radio, Fernsehen oder Internet gab es an langen Abenden unter vielen anderen passe-temps als eine aktivere Form des geistigen Zeitvertreibs das Schreiben von Sonetten. Auch die Familie Verne frönte offenbar dieser gedanklichen Herausforderung in Stunden der Muße und des geselligen Beieinanders. Das Sonett gibt einen strengen Formrahmen vor, den es mit Inhalt zu füllen gilt, der am Ende in eine allgemeingültige Aussage münden sollte. Das Sonettemachen ist also weniger Formspielerei, sondern fordert zum Gedankensport heraus, zum Ausbreiten eines Gedankens, den es zum rationalen Kern zu führen gilt. Das Sonett zwingt zum „Herunterkochen“ der Gefühle und bietet als äußerst gedankenstarke Gedichtform auch Zugang für weniger lyrische Gemüter. In meinen Nachdichtungen habe ich die strenge Form zugunsten des Inhalts etwas aufgebrochen. Nur das Sonett DER DAMPF ist in Reim- und Versstruktur vollends identisch. Beginnen wir also chronologisch mit dem Sonett DER DAMPF, das Jules Verne offenbar im Jahre 1847, also im Alter von 19 Jahren, geschrieben hat: |
Hier erleben wir den
jungen Jules Verne mit einem
ersten leisen Anklingen der späteren Außergewöhnlichen
Reisen, die ihn berühmt machen werden. Das Sonett
versetzt uns als
Zeitzeugnis zurück in das 19. Jahrhundert. Die
Erfindung der Dampfmaschine
ist gerade dabei, die Industrie- und Reiselandschaft grundlegend und
tiefgreifend umzugestalten. Die Welt beginnt sich zu beschleunigen,
wenn auch
noch nicht in dem heute gekannten Maße. Dampfschiffe
durchpflügen die Ozeane
und Dampflokomotiven rattern qualmend über stählerne
Schienenstränge. Die
Ortszeit reicht nicht mehr aus und die Zeitmessung muss weltweit
vereinheitlicht werden. Aber in den Fortschrittsgesang mischt sich
Fortschrittskritik. Die Reise läuft Gefahr, nur noch Mittel
zur simplen
Erreichung von Ziel und Zweck zu sein. Andererseits ändert die
Entdeckung der Dampfkraft
auch das Bild von Krieg und Kriegsführung. Neben der Reise um die Erde in 80 Tagen klingen
hier Themen an, wie man sie
später im kriegsironischen Ton des Romans Von
der Erde zum Mond oder beim liebenswert
fortschrittsfeindlichen Keraban der Starrkopf
wiederfindet, der
sich mit Händen und Füßen gegen „diese
modernen“ Reisemittel wehrt.
Auch aus dem Jahre 1847
stammt das Sonett DER
TOD.
Hier offenbart sich Jules Verne als überzeugter
Städter und Bürger.
Er sinniert als Durchreisender beim Anblick des dörflichen
Friedhofs über Leben
und Tod. Vor unseren Augen lebt erneut das 19. Jahrhundert auf, in dem
der
Unterschied zwischen Stadt und Land noch wesentlich
ausgeprägter ist als heutzutage.
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Gleichfalls 1847 entstanden ist das Sonett DER MOND. Eine Aneinanderreihung von Aufzählungen. Die gedankliche Struktur scheint „zerrissener“. Letztlich entspricht sie aber voll und ganz dem gewählten Bild – dem schwankenden Auf und Ab bzw. Hin und Her des Meeres unter der launischen Gravitationsgewalt des Mondes. |
Das 1849 geschriebene Sonett KEHRT DER GESTRENGE WINTER malt ein Stimmungsbild. Interessant für den hier 21-jährigen Jules Verne deshalb, da hier bereits die Bedeutung des Essens und der Verdauungsruhe zutage tritt, die viele seiner Romane begleiten wird. Schon seit jungen Jahren litt Jules Verne an Magenproblemen. Diesem Umstand wird es gemeinhin zugeschrieben, dass in seinen späteren Romanen die Speisekarte der Reisenden stets viel Beachtung findet. Ähnlich wie in diesem Sonett, wird sich in den Außergewöhnlichen Reisen neben aktionsreichen Handlungssträngen auch immer wieder Raum und Zeit zum genüsslichen Essen, Verweilen und Plaudern finden… und sei es – wie im Roman Die Kinder des Kapitäns Grant – auf einem Baum, wo man es sich inmitten eines schrecklichen Hochwassers gemütlich macht und das Leben der Vögel führt... |
Im April 1886 wird Jules Verne von einem Neffen angeschossen, der anschließend in einer Heilanstalt untergebracht wird. Die Kugel blieb im linken Bein nahe dem Fußgelenk stecken und konnte nie entfernt werden. Richtig erholt hat sich Jules Verne davon nie. Ein halbes Jahr lang konnte der 58-jährige Jules Verne das Bett nicht verlassen und wurde mit Morphium gegen die starken Schmerzen behandelt. In dieser Zeit erschien das damals anonym veröffentlichte Sonett AN DAS MORPHIUM. Die Frage der Schmerztherapie ist bis heute ein „brennendes“ Thema, auch wenn in der Öffentlichkeit nicht immer bemerkbar. Insofern ist dieses Sonett aus der getroffenen Auswahl vielleicht das aktuellste Gedicht von Jules Verne: |
Jules Vernes einziger Sohn, Michel Verne, hat die Anfang des 20. Jahrhunderts erschienen letzten Romane der Außergewöhnlichen Reisen stark mitgeprägt. Er hat, wenn man so sagen will, die „Schreibwerkstatt“ Jules Verne von seinem Vater im gegenseitigen Zusammenwirken noch zu dessen Lebzeiten teilweise übernommen und nach dessen Tod eine Weile fortgeführt. Deshalb scheint es nicht unangemessen, ein Sonett von Michel Verne zum Abschluss folgen zu lassen. Im Gegensatz zu den Sonetten des Vaters zeichnet sich dieses Sonett über die Vergänglichkeit des Lebens weniger durch eine strenge Gedankenführung, als vielmehr durch einen stark lyrischen Ton aus: |